06/12/2024 0 Kommentare
Flucht und Vertreibung im Jakobi-Treff „Kirche und Welt“ „Wir haben nie darüber gesprochen“
Flucht und Vertreibung im Jakobi-Treff „Kirche und Welt“ „Wir haben nie darüber gesprochen“
# Aktuelles 2024
Flucht und Vertreibung im Jakobi-Treff „Kirche und Welt“ „Wir haben nie darüber gesprochen“
„Flucht und Vertreibung“ war das Thema im letzten Jakobi-Treff „Kirche und Welt“ in diesem Jahr. Gezeigt wurde der Film zum Thema von Heinz Schulte, der in Zusammenarbeit mit dem Archiv des Kreises Steinfurt entstanden ist. In dem Film wird nicht nur das Verwaltungshandeln für die Aufnahme der zahlreichen Flüchtlinge in Rheine und Umgebung aufgegriffen, sondern es kommen auch Zeitzeugen zu Wort, die ihre persönlichen Erinnerungen vor der Kamera teilen.
Historiker sind sich heute einig, dass dieses Kapitel der deutschen Geschichte lange Zeit vernachlässigt worden ist. In einer ersten Welle setzte im Winter 1944/1945 mit dem Vorrücken der Roten Armee eine ungeordnete Fluchtbewegung aus den östlichen Bereichen des Deutschen Reiches ein. Eine rechtzeitige Flucht aus der berechtigten Angst vor der Rache der Roten Armee galt als Defätismus und wurde hart bestraft. Die zweite, weitaus größere Vertreibung war eine Folge der Potsdamer Konferenz ab Sommer 1945. Auf der Potsdamer Konferenz hatten die drei Großmächte USA, Russland und Großbritannien festgeschrieben, was längst beschlossen war: die Vertreibung der deutschen Minderheiten aus Polen, aus der Tschechoslowakei und aus Ungarn. Stalin behauptete, die deutschen Ostgebiete, die an Polen fallen sollten und die von der Roten Armee bereits der Verwaltung durch die provisorische polnische Regierung unterstellt worden waren, seien menschenleer. Die Deutschen seien alle geflohen, versuchte er die Konferenzteilnehmer zu beruhigen, sofern sie überhaupt beunruhigt waren.
Im Protokoll der Konferenz heißt es dazu : „Die drei Regierungen haben die Frage unter allen Gesichtspunkten beraten und erkennen an, dass die Überführung der deutschen Bevölkerung oder Bestandteile derselben, die in Polen, Tschechoslowakei und Ungarn zurückgeblieben sind, nach Deutschland durchgeführt werden muss. Sie stimmen darin überein, dass jede derartige Überführung, die stattfinden wird, in ordnungsgemäßer und humaner Weise erfolgen soll.“ Die Überführungen waren aber weder ordnungsgemäß noch human, und die Flüchtlinge mussten in einem zerstörten Land aufgenommen werden. Nach dem Krieg war ca. ein Viertel der Bevölkerung Flüchtlinge, ca. 10 Millionen in Westdeutschland und ca. 4 Millionen in Ostdeutschland.
Während die einheimische Bevölkerung den Krieg möglichst schnell vergessen machen wollte, hatten die Flüchtlinge das Gefühl, mit dem Verlust ihrer Heimat den Preis für den verlorenen Kriegt zu bezahlen. Der Film machte auch deutlich, dass der Ausweg aus der Misere der Flucht nicht in der Hoffnung auf Rückkehr, sondern in Arbeit und Anpacken lag. Ein großer Teil der Aufbauleistungen zu dem, was wir heute Wirtschaftswunder nennen, wäre ohne die vielen willigen und billigen Arbeitskräfte nicht möglich gewesen. Bereits nach einer Generation waren zumindest im Westen die Städte wieder aufgebaut, deutlich schneller als z.B. in Großbritannien oder in Ostdeutschland. Dieses Kapitel der deutschen Geschichte ist lange Zeit nicht nur in der breiten Öffentlichkeit, sondern auch in den einzelnen Familien verdrängt worden.
Die anschließende Diskussion machte deutlich, dass hinter dem unbestrittenen Integrationsleistung auch viel einzelne harte Schicksale standen und noch heute stehen, umso wichtiger sei es heute, sich daran zu erinnern und sich mit den letzten Zeitzeugen auseinanderzusetzen.
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